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Ein Blog von Anne Grieskamp

Haver & Boecker OHG, Loyola-Stiftung

Foto: Knut Reimann

„Pinnchenziehen hat über das Leben entschieden. Das gibt es heute hier nicht mehr…“

„Die Firma #Haver & Boecker exportiert zu 80%. Wir haben rund 3.000 Mitarbeitende und brauchen als Exportunternehmen auslandsflexible Menschen“, erklärt Dr. Reinhold Festge, Gesellschafter der OHG. Er begründet damit nicht zuletzt sein vielfältiges Engagement für die qualifizierte Ausbildung junger Menschen.

In den Jahren von 2013 bis 2016 war er Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau „VDMA“, der größten Netzwerkorganisation des europäischen Maschinenbaus.

Im Jahr 2021 wurde ihm der Preis „Deutscher #Maschinenbau“ verliehen. In den Fokus rückte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann Festges herausragendes Engagement für die Menschen und Themen des Maschinen- und Anlagenbaus sowie seine Empathie und klaren Worte.

Diese authentischen Eigenschaften beeindrucken auch mich – etwa als er mich anschaulich mit auf eine Reise in seine eigene Kindheit und Jugend nimmt.

„Ich bin jeden Morgen zur Oelder Overbergschule gegangen – die damalige Volksschule. Als weiterführende Schule gab es damals nur die Realschule in Oelde und die kostete Schulgeld. Das zu bezahlen, ist meinen Eltern schwergefallen. In einer anderen Familie mit zwei Geschwistern wurde Pinnchen gezogen, da der Schulbesuch für beide nicht zu bezahlen war“, erzählt er und betont: „Das hat mich erschüttert. Pinnchenziehen hat über das Leben entschieden. Das gibt es heute hier nicht mehr – aber im Kosovo.“

Die nächste Erinnerung führt in den Kosovo. Hier erlebte er einen Schlüsselmoment, in dessen Folge auf seine Initiative hin eine #Ausbildungsinitiative in Verbindung mit einer Stiftung gegründet wurde.

„Ich war mit einer privaten Gruppe in Prizren zur Besichtigung von Sehenswürdigkeiten“, erzählt er und ergänzt: „In einer Pause habe ich mich vor einem Museum auf eine Mauer gesetzt und bin mit einem jungen Mann ins Gespräch gekommen. Er erzählte, dass er sein Abitur mache. Ich habe gefragt: Und was machen Sie dann?“ Der junge Mann habe geantwortet: „Dann werde ich arbeitslos sein“. „Wir in der Heimat haben damals doch gedacht: Mit dem Abitur können wir die Welt erobern. Ich habe 1965 das Abitur gemacht. Von 64 Schülern waren wir acht Abiturienten.“

Wenn es im Kosovo nicht möglich sei, jungen Menschen eine Zukunft zu bieten, wolle er sie nach Deutschland holen, habe er überlegt und sich Gedanken gemacht, wie er mit der Firma Haver & Boecker helfen könne, sodass es für beide Seiten ein positiver Nutzen sein könne. „Kosovo ist für die Firma Haver & Boecker kein Markt“, habe er gedacht.

Der Grundaspekt sei jedoch gewesen: Wir müssen jungen Menschen eine Chance geben. Zweiter Aspekt: Wir brauchen flexible #Mitarbeitende. Ziel der Kosovaren sei, ihre Chance zu nutzen.   

Seine Gedanken führten ihn zu Pater Happel, der mit Anfang 60 auf eine 12-jährige Tätigkeit an einem Gymnasium in St. Blasien zurückgeblickt habe – der ersten Schule, die Chinesisch im Abitur angeboten habe. Es sei überlegt worden: Was machen wir mit den jungen Leuten im Kosovo nach dem Krieg? Gegründet worden sei die Schule „Loyola“ nach der Pädagogik vom hl. Ignatius – zuerst als reines Gymnasium. „Die jungen Menschen sollten so ausgebildet werden, dass sie in der Lage sind, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Alle Schüler konnten das deutsche Sprachdiplom erwerben“, erzählt Dr. Reinhold Festge. Es ist zu spüren, dass er sich gern erinnert.

Im Jahr 2014 legte Dr. Reinhold Festge die Geschäftsleitung der Firma Haver & Boecker mit Hauptsitz in Oelde in die Hände seiner Söhne Florian Festge und Dr. Fabian Festge. Er selbst ist Gesellschafter der OHG, die mit 50 Tochterunternehmen und 150 Vertretungen auf fünf Kontinenten tätig ist. „Es geht nicht nur darum, Geld zu verdienen, sondern auch darum, dass man vernünftig miteinander umgeht. Wenn ich ein eigenes Unternehmen habe, arbeite ich von Generation zu Generation und nicht von Vertrag zu Vertrag. Was uns überleben lässt, ist die Tatsache, dass wir ordentlich finanziert sind und die Gesellschaft über eigene Wohlstandsmehrung stellen. Die OHG hält uns wach. Wir sind in der persönlichen Haftung“, erklärt er.

Sein Engagement für junge Menschen und Bildung zeigt sich vielfach. So ermögliche das sogenannte Ausbildungsmobil den jährlichen Einsatz von jeweils zwei Auszubildenden in Brasilien, in den USA, in Kanada, Indien und Südafrika. „Das erste besuchte Ausland ist immer das schönste“, sagt er mit einem Lachen. Als Dr. Reinhold Festge seine Erinnerungen an einen vierjährigen Aufenthalt in Brasilien mit Ehefrau Dr. Susanne Festge und seinen Söhnen Florian und Dr. Fabian Festge als junge Familie teilt, erzählt er begeistert: „Mir würde es heute noch Spaß machen, ins Ausland zu gehen und einen Auslandsjob zu machen.“ Nach Jahren in Brasilien seinerzeit folgte ein USA-Aufenthalt. Seien Auszubildende der Firma Haver & Boecker OHG in Indien, umgebe sie ein anderes Lebensumfeld als in Amerika, doch Azubi-Berichte spiegelten auch hier die Begeisterung.

Sein eigener beruflicher Plan sei in jungen Jahren zunächst ein anderer gewesen. Als Dr. Reinhold Festge im November 1945 geboren wurde, galt sein Vater Reinhold, der sich in Kriegsgefangenschaft befand, als vermisst. Seine Mutter Gerda nannte ihr Neugeborenes aus diesem Grund ebenfalls Reinhold. Mit einer Postkarte meldete sich sein Vater später aus der Gefangenschaft und im Zuge des Schriftwechsels schrieb seine Mutter ihm, dass ihr 2-jähriger Sohn Reinhold neben ihr sitze und Verband anlege. „Ich wollte schon damals Arzt werden“, erklärt er heute mit einem Augenzwinkern.

Seine Eltern gründeten im Jahr 1958 eine Druckerei, doch seine Präferenz galt als junger Mann der Medizin. 1974 beendete er sein Medizinstudium mit Promotion. Seinem Plan, nach einer Famulatur in einer Klinik als Chirurg tätig zu werden, traten Pläne seines Schwiegervaters Rudolf Haver entgegen und dessen Vertrauen in ihn. Dessen Wunsch, dass er die Firma Haver & Boecker weiterführe, folgte er. Die Druckerei seiner Eltern übernahm er zu einem späteren Zeitpunkt. Verantwortung und sein medizinisches Wissen bringt er seit Gründung im Jahr 1997 in die Firma Febromed GmbH & Co. KG ein.
 
Einer der ehemaligen Loyola-Schüler und heutigen Mitarbeitenden der Firma Haver & Boecker ist Arjan Bala. „Vom kleinen Flughafen in Prizren landeten wir in Düsseldorf und dachten: Wow! Es war für uns alles riesig“, verdeutlicht er.
Zurück ließ Arjan Bala die täglichen Bilder von einem vom Krieg zerstörten Kosovo und die ständige Präsenz von der heimischen Berichterstattung über die abgefackelte Heimat, über Vermisste und was zu tun sei, um nicht auf Minen zu treten.  

Er erinnert sich: „Es war Ostersonntag und wir haben die Messe besucht. Ich war fünf Jahre alt und wir mussten die Ostermesse und unser Zuhause verlassen. Zuvor hieß es immer: Ihr müsst bereit sein, um zu fliehen in die Wälder oder Nachbarländer. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Da ich noch so jung war, habe ich die Ernsthaftigkeit jedoch nicht empfunden.“

Erst später habe er registriert, dass es gerade noch rechtzeitig gewesen sei. In etwa 15 bis 20 Kilometer entfernt liegenden Dörfern seien 300 Kinder, Männer und Frauen ermordet worden. „Ich war der erste in der Familie, der Schüler am Loyola-Gymnasium war. Schon bevor es gebaut war, hatte Opa zu Pater Happel Kontakt und beide waren zu Besuch.“
Im Loyola-Gymnasium habe er Schüler aus dem ganzen Kosovo getroffen, die Geschwister und Eltern verloren hatten. Ihm sei die Trennung von der Familie am Anfang schwergefallen. „Die Leitung und die Lehrer waren streng. Wir haben auch Ordnung gelernt. In der Pubertät bis 18 hat man andere Interessen, doch wenn ich zurückblicke, war es dennoch eine richtig schöne Zeit.“

Er schildert seinen weiteren Werdegang. „Ich war einmal in Oelde als Austauschschüler am Thomas-Morus-Gymnasium im Jahr 2009. Wir besuchten in dieser Zeit auch die Firma Haver & Boecker OHG. Damals war noch nicht die Rede von einer Ausbildung in Oelde. Ich hatte zunächst den Plan, in einem deutschsprachigen Land zu studieren. Aber dann im Jahr 2010 kam die Idee mit der Ausbildung. Im April 2011 habe ich ein #Praktikum absolviert und im September 2011 bin ich gestartet. Ich habe gedacht: Wenn es mir nicht gefällt, kann ich zurückfliegen. Mittlerweile bin ich 10 Jahre hier.“

Als technischer Zeichner sei er angefangen. Doch als er in den letzten zwei Wochen der Ausbildung in der Abteilung Vertrieb gewesen und angesprochen worden sei, ob es ihm Spaß bereite, sei er begeistert gewesen. „Ich habe dort so viel erlebt“, erklärt er. Er habe gedacht: „Der Kundenkontakt: Das ist meins. Man sieht auch das Lachen in den Gesichtern der Kollegen, wenn sie vom Außendienst zurück ins Büro kommen. Dieses Gefühl will ich auch haben. Ziele erreichen.“ 

Zu schätzen wisse er auch, dass die Geschäftsleiter sich Zeit nehmen für die Mitarbeitenden der Firma. Zum Beispiel beim Sommerfest, wenn Florian Festge Bier zapfe für die Mitarbeitenden oder auch bei zufälligen Begegnungen zeige sich das wertschätzende Verhalten. „Unser Vater wollte immer, dass wir eine Zukunft haben.“

Eine Ausbildung nach dem Vorbild des dualen Systems in Deutschland solle zukünftig Schülerinnen und Schülern des Loyola-Gymnasiums ermöglicht werden, erklärt Dr. Reinhold Festge. Dann begleite die Schule auch den Start in das Berufsleben vor Ort.